Donnerstag, 31. Januar 2013

Volksverblödung mit Stil

Vor wenigen Tagen beendete ich die letzte DVD-Staffel von "Der Denver-Clan". Damit habe ich mir die Serie noch einmal komplett auf DVD "reingezogen", wie man so schön sagt.

Es wurde und wird viel langweiliger, oftmals falscher Käse über "Der Denver-Clan" geschrieben. Dass die Serie eine Kopie von "Dallas" war, dass sie erfolgloser war, dass sie erfolgreicher war … Man kann es sich aussuchen und auch lange darüber streiten, wer von wem abschrieb.

Viel spannender finde ich es, sich die Serie in ihrer Entwicklung anzusehen. "Der Denver-Clan" hat wahrscheinlich alle Phasen durchlaufen, die bei einer Serie überhaupt nur denkbar sind. Sie begann nicht sehr erfolgreich, katapultierte sich schließlich auf Platz 1, legte einen ebenso legendären Absturz hin und endete wenig ruhmreich mit miesen Quoten und offenem Cliffhanger.

Und auch inhaltlich deckte der "Denver-Clan" alles ab. Die Serie wandelte sich vom glaubwürdigen Familiendramen zu einem opernhaftem Kitsch-Epos, erreichte schließlich die Untiefe und Fadheit von absurdestem Daily-Soap-Quatsch, und mündete schließlich in alberner Pseudo-Action, wie sie 1980er-Jahre-Serien üblich war.

Dabei hatte es ganz solide begonnen. Sieht man sich heute die erste Staffel an, so findet man darin nichts von dem, was man allgemein mit "Der Denver-Clan" verbindet. Statt einer kitschigen Huldigung von Luxus und Verschwendung begann die Serie als sozialkritischer Kontrast zwischen "superreich" und "Mittelklasse". Kristle Carrington heiratet einen skrupellosen Multimillionär und zieht zu ihm in sein Anwesen, während die "Blaisdel"-Mittelklasse-Familie aus einem idyllischen Vorort versucht, gegen die Machtkämpfe des Carrington-Großkonzerns anzukommen.

Die Drehbücher waren qualitativ gut, Blake Carrington überzeugte als grausamer Tyrann, der den Liebhaber seiner Tochter verprügeln ließ und der in einem Tobsuchtsanfall seine eigene Frau vergewaltigte. Die Staffel endete in einem großen Familiendrama. Blake Carrington attackiert den Freund seines schwulen Sohnes, wobei dieser stürzt und sich eine tödliche Kopfverletzung zuzieht. Es folgt eine lange Gerichtsverhandlung, die damit endet, dass Blakes Exfrau Alexis den Gerichtssaal betritt.

Mit der Idealbesetzung Joan Collins wandelte sich die zweite Staffel vollkommen. Was zuvor gut inszenierte, aber reichlich biedere Familienunterhaltung war, wandelte sich in ein spannendes Epos. Wahrscheinlich gab es seitdem nie wieder eine Serie, die so gekonnt Klischees übernahm und so perfekt mit ihnen spielte. Vieles ging ans Limit. Der Kitsch, die Glaubwürdigkeit, die Übertreibungen, die Intrigen. Doch zugleich wurde "Der Denver-Clan" zu einer Serie, über die plötzlich jeder sprach. Die Quoten schossen nach oben.

Die Staffel 3 verstärkte das, was in Season 2 so grandios funktioniert hatte. Die Serie wurde inszeniert wie ein großer Hollywood-Kinoschinken aus den 1960er Jahren. Alles wurde noch epischer, noch größer. Die Darsteller wurden angehalten, besonders statisch zu agieren. Mit den Händen durfte so gut wie gar nicht mehr gestikuliert werden. Das war eine Regieanweisung, die auch ein Alfred Hitchcock an seine Schauspieler erteilt, und sie half tatsächlich, der Serie einen Hauch von Hollywood-Eleganz zu verleihen, die "Der Denver-Clan" noch heute so einzigartig macht. Dummerweise reduzierte es die schon immer recht klischeehaften, aber zumindest lebendigen Charaktere zur Gänze auf eindimensionale Pappaufsteller. Die Storys wurden zunehmend dünner, die Handlung kam immer wieder ins Stocken, und die Dialoge wurden nur noch benutzt, damit sich die Charaktere gegenseitig bescheinigten, wie sehr sie sich lieben oder hassen.

Hatte die Serie einst gezeigt, wie verkommen und unmoralisch die "Superreichen" sind, so drehte sich diese "politische Aussage" vollkommen in ihr Gegenteil um. Die "Bösen" waren plötzlich jene, die versuchten, aus der sozialen Mittel- und Unterschicht aufzusteigen, während die Carrington-Fraktion die Moral gepachtet zu haben schien. "Moralisch gut" waren jene, denen der Reichtum "zustand", oder jene, die sich zum Beispiel freundlich in ihre Rolle als Diener oder Angestellter fügten.

Dummerweise entschlossen sich die Autoren, Alexis aufgrund einer Erbschaft zur Eigentümerin eines Imperiums zu machen. Dieser Schritt veränderte die Figur leider grundlegend. Zuvor musste Alexis manipulieren und ihren Charme sprühen lassen, um an ihr Ziel zu kommen. Jetzt lebte sie ihre Macht aus und verteilte ungeniert Beleidigungen. Sie war biestig, machte aus ihren finsteren Absichten keinen Hehl und tyrannisierte jeden, über den sie Macht ausübte. Joan Collins war darin noch immer perfekt, aber die Figur verlor den Charme, der sie so einzigartig gemacht hatte.

In Staffel 4 sollte das Hollywood-Flair mit ehemaligen Kinostars wie Helmut Berger vertieft werden. Doch die Serie wurde mehr und mehr zur leeren Hülle, die nur von außen betrachtet gut war. Es häuften sich die Plots, die alle irgendwie vielversprechend anfingen, dann aber im Sande verliefen. Besonders deutlich wurde dies an dem Neuzugang Diahann Carroll, der einzigen Hauptfigur mit schwarzer Hautfarbe, die es jemals in "Denver-Clan" geben sollte. Carroll hatte einen großen Auftritt, danach aber drei Jahre lang nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun. In den letzten zwei Staffeln tauchte sie plötzlich gar nicht mehr auf, ohne dass ihr sang- und klangloses Verschwinden jemals erklärt worden wäre.

Der "Denver-Clan" lebte noch immer vom Ruf von einst, so dass sich der radikale Qualitätseinbruch vorerst nicht in den Quoten bemerkbar machte. Leider. Angeblich sollen sich die Darsteller über die offensichtlich schwindende Qualität beklagt haben, doch ihre Beschwerden, so heißt es, wurden mit dem Hinweis "was wollt ihr, die Quoten sind gut" abgeschmettert.

Staffel 5 war im Grunde eine einzige große Vorbereitung für den großen Klippensprung, von dem sich die Serie nie wieder erholen sollte. Die Gigantomanie kannte keine Grenzen mehr, und mit Rock Hudson wurde ein weiterer Kinostar in die Credits aufgenommen, während Amanda, eine weitere Tochter von Alexis, einen waschechten Märchenprinzen heiraten sollte, der dem Lande Moldavia entstammte. Die Staffel endete mit dem berühmten "Moldavia-Massaker". Bei der Hochzeitsfeier von Prinz Michael und Amanda wird der Saal von Terroristen gestürmt, welche die gesamte Hochzeitsgesellschaft mit Salven aus Maschinengewehren niederfeuern. Es brachte der Serie die höchsten Quoten, allerdings sendete "Dallas" in der gleichen Woche eine Episode, in der Bobby Ewing starb – und hatte mit dieser sehr still inszenierten Sterbeszene einen größeren Quotenerfolg.

Doch während Bobbys Tod später zum Traum erklärt wurde, tat man beim Moldavia-Massaker etwas viel Schlimmeres. Man ignorierte es einfach. Fast alle Charaktere standen zu Beginn von Staffel 6 einfach wieder auf und zupften sich nur ein paar Staubflocken vom Anzug, gerade so, als hätten die Terroristen lediglich mit Platzpatronen geschossen. Der Regisseur, der den Auftakt der sechsten Staffel drehte, wollte für die Anfangsszenen etwas mehr Budget, um zumindest ein paar kreisende Hubschrauber zeigen zu können, welche vielleicht ein bisschen Dramatik erzeugt hätten. Seine Bitte wurde abgelehnt mit dem Argument: "Wir sind doch schon ein Hit!"

Die erfolgsverwöhnten Macher ruhten sich auf ihren Lorbeeren aus, und niemand verspürte noch Lust oder Ehrgeiz, gute "Denver-Clan"-Episoden zu produzieren.

Und ausgerechnet in dieser Phase begann man, das Spin-Off "Die Colbys" vorzubereiten.

Der "Denver-Clan"-Ableger "Die Colbys" hieß im Original übrigens "Dynasty II". Und dummerweise legte man "Dynasty II" auch noch auf den "Denver-Clan"-Sendeplatz, während das Original, "Dynasty I" sozusagen, einen Tag früher gesendet wurde. Da ein wichtiger Handlungsstrang um Blakes Tocher Fallon auch noch nahtlos in "Dynasty II" fortgesetzt wurde, realisierten viele Zuschauer gar nicht, dass sie nicht mehr "Dynasty I" sondern den Ableger sahen.

Diese absurde Programmpolitik katapulitierte den einstigen Nummer-1-Hit so weit nach unten, dass er nicht einmal mehr auf den Rängen 1 bis 20 vorkam. Doch jene, die "Der Denver-Clan" weiter die Treue hielten, mussten eine hirnverbrannte Storyline über sich ergehen lassen, in der Krystle von einer bösen Doppelgängerin ersetzt wurde. Über Wochen und Wochen hinweg sah der Zuschauer die echte Krystle an einen Stuhl gefesselt, gerade so, als wäre "Der Denver-Clan" eine Daily-Soap und keine große Abendserie. Gerüchten zufolge sollte dieser Handlungsstrang sogar eine ganze Staffel über andauern.
Doch die einbrechenden Quoten weckten zumindest den einen oder anderen aus seinem kreativen Komaschlaf. In der Mitte der Staffel wurde das Ruder gewaltsam herumgerissen, und tatsächlich stiegen sowohl die Qualität der Serie als auch die Quoten wieder leicht an.

Staffel 6 endete damit, dass es Alexis tatsächlich gelang, Blake so sehr in die Ecke zu treiben, dass sie ihm das sein Carrington-Anwesen abnehmen konnte. Im Season-Cliffhanger wirft sie Blake und seine "blonde Schlampe" aus hochkant hinaus.

Doch als die Quoten mit Staffel 7 weiter sanken, gerieten die Macher in Panik. Wenn die Zuschauer keine falsche Krystle sehen wollten, dann wollten sie wahrscheinlich auch nicht sehen, wie die Carringtons sich in irgendwelchen Hotels aufhalten, und nicht in der großen Villa. Daher gelang es Blake in Staffel 7 sehr schnell, all das, worum ihn Alexis betrogen hatte, zurückzuerhalten.

Blake und Krystle kehrten also in ihr Märchenschloss zurück, und von nun an sollten sie hier ein "happily ever after" leben. War man zuvor zu faul gewesen, sich spannende Plots auszudenken, so schien man nun aus Angst, etwas falsch zu machen, rein gar nicht mehr zu wagen. Fast könnte man glauben, Aaron Spelling habe eine Erscheinung von Jungfrau Maria gehabt, die ihm auftrug, die Botschaft der Liebe in die Welt zu tragen, denn plötzlich kam er auf die glorreiche Erkenntnis, die Serie sei wohl deshalb nicht mehr erfolgreich, weil die Figuren zu gemein zueinander sind. Im Zuge dessen versöhnten sich plötzlich Blake und Alexis, und auch Blakes fieser Bruder Ben wurde plötzlich ein wahrer Gutmensch.

Jetzt war die Serie nur noch das, was man heute leider mit ihr in Verbindung bringt. Sie war langweilig.

Mit Staffel 8 erreichte "Der Denver-Clan" einen angeblich bis heute bestehenden Rekord. Es heißt, noch nie sei in der Geschichte des Fernsehens eine Nummer-1-Serie in so kurzer Zeit so tief in den Ratings gesunken.

Die Macher müssen längst aufgegeben haben, denn Mühe gab sich offensichtlich niemand mehr. Matthew Blaisdel kam aus heiterem Himmel von den "Toten" zurück, und war gleich darauf auch wieder verschwunden, und als Zuschauer saß man ratlos davor und fragte sich, was sich die Autoren dabei gedacht hatten. Fallon, die im gecancelten Spin-Off "Die Colbys" von einem Ufo entführt worden war, war wieder zurück und beklagte sich unentwegt, dass ihr niemand die Ufogeschichte glauben wollte. Blake und Alexis wurden erneut zu Gegnern, indem sie beide für das Amt des Governeurs kandidierten. Dummerweise war es dem Zuschauer vollkommen egal, wer denn nun Governeur wird, und daher hatte der politische Zweikampf auch keinerlei Spannung.

Mit Staffel 9 machte man David Paulsen zum Producer der Serie. Viele vermuten, er sei nur geholt worden, um als Sündenbock für die unvermeintliche Absetzung der Serie zu dienen. Paulsen hatte zuvor für "Dallas" gearbeitet. Er erzählte in einem Interview, das TV-Network habe damals zu ihm gesagt: "Mach, was du willst, hauptsache, du hältst das Budget ein." Dummerweise hatte man das Budget bereits radikal gekürzt, während die Gagen für die Darsteller laut Vertrag erneut gestiegen waren. Paulsen wollte jedoch mehr Außenaufnahmen und mehr optische Vielfalt. Er wollte, dass der Zuschauer Pferde, Autos und Landschaften sah. Um das dafür notwendige Geld zu haben, reduzierte er die Auftritte von Linda Evans auf sechs Episoden, während Alexis nur in dreizehn (von 22) Folgen zu sehen war.


Natürlich war es massiver Einschnitt in die Serie, wenn zwei der weiblichen Hauptidentifikationsfiguren plötzlich nicht mehr dabei waren. Und da Alexis immer wieder aus der Handlung herausgeschrieben werden musste, konnte sie auch in den Folgen, in denen sie mitspielte, nicht mehr viel ausrichten.

Die letzte Staffel von "Der Denver-Clan" wurde actionreicher. Es ging um einen seltsamen Schatz unter dem Carrington-Anwesen und einen lange zurück liegenden Mord. Dadurch glaubte David Paulsen, männliche Zuschauer hinzuzugewinnen. Selbst wenn ihm dies gelungen war, so konnte es natürlich nicht den Verlust der Stammzuschauer kompensieren, welche die Serie vor allem wegen Krystle und Alexis verfolgt hatten.

An die Drehbücher ließ man immer mehr Anfänger. Die Dialoge hatten nichts mehr mit den geschliffenen Dialogen von einst zu tun. Sie drehten sich im Kreis, manches Gespräch war so absurd und albern, man konnte glauben, der Text sei von Kindern verfasst worden, die sich in Soap-Fanstorys austoben.

Zweifellos legte die letzte Staffel an Fahrt zu. Doch zu diesem Zeitpunkt wirkte "Der Denver-Clan" wie ein Patient, der plötzlich aus dem Koma erwacht war, ziellos herumtaumelte und hin und wieder wirres Zeug faselte.

Aber zumindest war die Serie erwacht. Jedoch leider zu spät. Die Serie endete mit einem lahmen (und unnötigen) Cliffhanger, und sollte erst später in einem grauenhaften Reuinion-Special eine Art Abschluss erhalten. Darüber aber mehr, wenn dieses Special auf DVD erschienen ist.

In einem Forum habe ich gelesen: "Die schlechteste Denver-Episode ist immer noch besser als der Müll, der heute produziert wird." Das ist natürlich falsch, da heute ganz großartige Serien fürs Fernsehen gemacht werden. Ich würde es daher so formulieren: Damals hatte eine groß angelegte Volksverdummung wenigstens noch Stil und Eleganz. Und dafür wird "Der Denver-Clan" immer sprichwörtlich bleiben.

Mittwoch, 30. Januar 2013

Dallas ist wieder da!

Gestern lief im deutschen Fernsehen die erste Folge der "Dallas"-Wiederauferstehung. Erfreulich: Es sind die gleichen Synchronsprecher von einst!!!

Ich denke, dieses Remake zeigt - nach einer kurzen Anlaufphase - wie man einen einstigen Kult erfolgreich und bestens wiederbelebt. Erfreulicherweise war es für den Sender auch in Deutschland ein entsprechender Erfolg.

Umso mehr kann man über das Gemotze des deutschen Blätterwalds nur den Kopf schütteln. Den Vogel schießt erneut die "Münchner Abendzeitung" ab, die es "äußerst zynisch" findet, "mit dem inzwischen gestorbenen Darsteller Larry Hagman Quote zu machen". Sollen Serien mit inzwischen verstorbenen Darstellern in den Giftschrank, oder was?

Andere reden viel über das Alter der damaligen Stars, um zugleich über den Jugendwahn von Hollywood zu philosophieren. Und natürlich bleibt das Lifting der Sue-Ellen-Darstellerin nicht unerwähnt.

Und natürlich die Frage: Gehört die Serie nicht eher in die achtziger Jahre? Und ich sage: Wie bitte? In Zeiten von Finanzspekulationen und Firmenskandalen ist die Zeit doch bitte wie geschaffen für eine Serie wie "Dallas"!

Ich sehe mich hier an "Star Trek" erinnert. Die Classic-Serie passte ideal in den Zukunftsoptimismus der sechziger Jahre. Und die "Next Generation" passte ideal in das beginnende Computerzeitalter der neunziger Jahre.

Und so ist es auch bei "Dallas"! Es passt perfekt in die Zeit. Heute wie damals.

Dienstag, 29. Januar 2013

Warnung: Jedes Computerspiel kann später gegen Sie verwendet werden!

Ein tragischer Mordfall, gar nicht so weit von meinem Wohnort entfernt, bietet über die furchtbare Tat hinaus Gründe zum Kopfschütteln.

Der Täter war ein 18jähriger und angeblich psychisch kranker Mann. Das reicht natürlich gerade einmal für eine politisch unkorrekte Schublade. Hier zögert jeder Journalist.

Andererseits benötigt ein Journalist die Schublade so sehr wie das Internet zum Recherchieren.Wenn schon nicht für den Leser, dann zumindest für sich selbst. Und nach wie vor bietet sich hier eine Gruppe an, die in unserer Gesellschaft keinerlei Schutz genießt: die Gruppe der Video- und Computerspieler.

Und genau darauf hat sich die Abenzeitung München gestürzt, wie auf der deutschen Homepage von ign zu lesen ist. Bereits im Aufmacher des Beitrags wurde betont, dass der junge Mann offenbar das Videospiel "Final Fantasy XIV" gespielt hat. Und natürlich fehlte auch nicht ein passender Screenshot aus diesem Spiel.

So weit, so üblich, darüber mag man sich gar nicht mehr aufregen. Auch nicht darüber, dass die "Final Fantasy"-Reihe jugendfrei (ab 12 Jahren) und zum Teil kitschiger als ein Disneyfilm ist, was zwar jeder weiß, der auch nur entfernt von Computerspielen gehört hat, was aber dem durchschnittlichen Abendzeitung-Leser unbekannt sein dürfte.

Absurd wird es allerdings, dass der Artikelschreiber sogar selbst darauf kam, dass "Final Fantasy" nicht zu den "brutalen" Games zählt. Noch extremer: Das Online-Profil zeigte angeblich, dass der Täter offenbar nur kurz eine Demo-Version des Spiels angetestet hat.

Doch dafür findet der Artikelschreiber natürlich sofort eine Erklärung. Das Spiel, bei dem es "in erster Linie" nicht um "Gewalt" gehe, war dem Täter "vielleicht zu wenig".

Mit anderen Worten: Es wird hier frei etwas zusammenphantasiert, ganz egal, ob der Täter etwas getan oder exakt das gleiche nicht getan hat.

Angeblich ging es der Zeitung in dem Artikel darum, Lesern die Fragen nach dem "warum" umfassend zu beantworten. Und so eine umfassende Antwort wertet natürlich alles aus, was irgendwie in die kleine Welt der Vorurteile passt.

Mit dieser Methode kann man jedes Verbrechen zum Anlass nehmen, Stimmung zu machen. Man könnte zum Beispiel behaupten, der Täter sei Fleischesser, um zu zeigen, dass Fleischesser die schlechteren Menschen sind. Und als Beleg dafür nimmt man eine angebissene Tafel Schokolade. Und wenn man dann selbst darauf kommt, dass Schokolade gar kein Fleisch enthält, dann war eben genau das der Grund, weshalb der Täter sie nur angebissen und nicht aufgegessen hat. Sie war ihm wohl irgendwie nicht blutig genug.

Oder man unterstellt, der Täter sei ein Fan von Horrorvideos gewesen. Der Beweis: Eine angefangene Videokassette von "Sissi - Kaiserin von Österreich". Auch wenn man natürlich einräumen muss, dass die "Sissi"-Filme nicht zu den brutalen Filmen zählen, die Bandposition zeigt eindeutig: Der Film wurde offenbar nicht fertig geguckt, weil - "vermutlich" - nicht blutrünstig genug.

Oder ein Pilcher-Roman mit Lesezeichen hinter den ersten zehn Seiten. Wahrscheinlich nicht zu Ende gelesen, da eben kein Blut triefender Stephen-King-Roman. Eine unzerkratzte Schallplatte von Mozarts "Kleiner Nachtmusik", offenbar selten gehört, da kein brutales Heavy Metal. Und schließlich eine nicht leergetrunkene Flasche Bier, verschmäht ganz sicher deshalb, weil im Vergleich zu einem Schnaps nicht genug Alkohol drin war.

Und schon bekommt der Leser genau die Informationen, die er braucht, um sich ein umfassendes Bild über die Vorurteile des Journalisten zu machen.

Dienstag, 8. Januar 2013

Ist nicht wahr!

Es gibt Dinge, bei denen ich nicht weiß, ob ich sie für hirnverbrannt blöd oder ultimativ genial halten soll.

Ich erinnere mich noch, wie es in meiner Kindheit Streit um das Fernsehprogramm gab. Ich wollte mir die Wiederholung von "Raumpatrouille - Die Abenteuer des Raumschiffs Orion" im Dritten ansehen, und meine Eltern bestanden auf eine blöde Unterhaltungsshow im Ersten. Oder ich interessierte mich für einen Spielfilm im Ersten, meine Eltern aber wollten "Wetten dass …?" im Zweiten.

Im Zeitalter von Festplattenrekordern, so müsste man glauben, gehört dieser Streit der Vergangenheit an. Doch weit gefehlt. Schließlich muss noch immer entschieden werden, was man gemeinsam sehen möchte.

Diesem Konflikt will nun Samsung ein Ende bereiten, und zwar mit neuen TV-Geräten und speziell dafür angepassten 3D-Shutter-Brillen. Diese sollen es ermöglichen, dass zwei Personen auf das gleiche TV-Bild starren und dabei etwas völlig Unterschiedliches sehen.

Die Technik ist simpel. Beim 3D-Shutter-System trägt der Betrachter eine Brille mit Gläsern, die aus Flüssigkristallflächen bestehen, die elektronisch zwischen durchlässig und undurchlässig umgeschaltet werden können, womit sich im schnellen Wechsel das linke oder das rechte Auge abdunkeln lässt. Der Monitor zeigt zunächst das Bild, welches für das rechte Auge bestimmt ist, und dann das Bild für das linke Auge. Von der Brille wird dabei synchron nur das passende Bild zum entsprechenden Auge durchgelassen, wodurch ein 3D-Effekt erzeugt wird.

Natürlich ist es kein Problem, diese Technik so anzupassen, dass im schnellen Wechsel zwei völlig verschiedene Bilder von zwei völlig verschiedenen Filmen gezeigt werden. Ein Zuschauer sieht durch seine Brille alle Bilder von Film A, ein zweiter Zuschauer sieht durch seine Brille alle Bilder von Film B. Einen 3-D-Effekt gibt es dann freilich nicht mehr.

Die von Samsung konzipierte Brille hat in den Seitenbügeln auch noch die Lautsprecher für den jeweiligen Filmton, schließlich gibt es bei zwei verschiedenen Filmen natürlich auch verschiedene Tonspuren.

Und schon kann sich die Frau ihren "Weiberkram" ansehen, und der Mann kann sich die "Saw"-Filmreihe reinziehen. Und dennoch gibt es einen gemeinsamen Filmabend.

Bis zu zehn Brillen soll das neue Fernsehgerät von Samsung steuern können. Das heißt, es können auch neun Leute Film A gucken, und ein Außenseiter kriegt seine Extrawurst und verfolgt Film B. Blöd wird es wahrscheinlich, wenn an einem solchen Filmabend die Mehrheit mit großem Gelächter "Ice Age" oder "Die nackte Kanone" sieht, und der Außenseiter guckt "Schindlers Liste".